Sehr geehrter Herr Wüst,

Ihr Artikel im aktuellen SPIEGEL (Heft 43/2014, S.133) zum Lindauer Hauptbahnhof ist mir ziemlich aufgestoßen. Warum erwähnen Sie mit keinem Wort, daß Straßenverkehrszählungen schon Ende der 90er Jahre erbrachten, daß im Jahresdurchschnitt - Sommer wie Winter, Werktag wie Feiertag eingeschlossen - über 21.000 Besucher täglich mit KFZ auf die Lindauer Insel fahren, wo dort doch nur 3.000 Menschen wohnen ?

Wieso erwähnen Sie nicht, daß die Planfeststellung eines Hauptbahnhofs am Festland durch die Regierung von Schwaben im Jahr 2004 u.a. deswegen abgelehnt wurde, weil es ohne Inselbahnhof für die Beförderung der Bahntouristen vom geplanten Festlandshauptbahnhof auf die Insel kein schlüssiges Konzept gab ?

Bereits heute gibt es in Lindau täglich im Schnitt 5.000 aussteigende Bahnreisende, obwohl der Bahnhof für die Festlandsbevölkerung tatsächlich sehr ungünstig liegt. Vielleicht liegt das ja an der gegenüber Venedig so geringen touristischen Bedeutung, die selbst Italiener nicht davon abhält, extra nach Lindau zu fahren - mit dem Auto, denn die Bahn wird erst mit dem Gotthard-Basis- Tunnel konkurrenzfähig.

Haben Sie die Bayerische Eisenbahngesellschaft, die alle Regionalzüge in Bayern bei DB Regio AG und Wettbewerbern bestellt, nach ihrem Fahrplankonzept für die Zeit nach der Elektrifizierung der Strecke (München -) Geltendorf - Lindau befragt ? Wieso berichten Sie nicht davon, daß die gegenwärtigen Planungen am Festland einen Umsteigebahnhof vorsehen, der fast genau so viele Bahnsteigkanten und -längen vorsieht, wie der ehedem im Planfeststellungsverfahren abgelehnte Hauptbahnhof ?

Wußten Sie eigentlich, daß die DB Fernverkehr wegen des Zwangs, in Lindau von der elektrischen Traktion auf Dieseltraktion umspannen zu müssen, seit Jahrzehten durch den Aufenthalt auf der Insel gegenüber dem Umspannen am Festland Zeit spart (erkläre Ihnen gerne, woran das liegt !) ? DB Fernverkehr hätte alternativ seit Jahrzehnten in Lindau- Reutin ohne Ausstiegsmöglichkeit umspannen können. Aber die EC-Züge sind zwischen Lindau und Bregenz (-Zürich) besser ausgelastet als zwischen Lindau und Memmingen (-München).

Wieso erwähnen sie mit keinem Wort, daß die Fernzüge von Zürich nach München nach Errichtung des neuen Bahnhofs in Lindau-Reutin und nach der Elektrifizierung nicht mehr auf die Insel fahren werden ? Und daß darüber hinaus weitere Direktverbindungen ohne Inselhalt nach Österreich seitens der NVBW geplant sind ?

Wieso erwähnen sie die neuen Planungen nicht, nach denen auf der Insel die Abstell- und Betriebsanlagen südlich und westlich des Empfangsgebäudes, welches denkmalgeschützt ist, entfernt werden sollen ? Wieso berichten Sie nicht davon, daß auch zwei von acht Bahnsteigkanten des Inselhauptbahnhofs abgerissen werden sollen, also auf der Insel die Abfertigungskapazität der Zahl der Züge nach um 25% reduziert und der Länge der Züge nach nahezu halbiert werden soll auf eine maximale Zuglänge von 210 m ? Dies bedeutet einen 60%-igen Kapazitätsabbau auf der Insel für Reisezüge und die komplette Verlagerung der Zugbehandlungseinrichtungen ans Festland !

Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, was die Stadt Lindau auf den frei werdenden Flächen bauen sollte ? Ihr Artikel bleibt da wohl bewußt im Vagen ! Geld hat die Stadt kaum, um den dringend notwendigen Umbau der Inselhalle zum vollwertigen Kongreßzentrum zu finanzieren. Wenn der Freistaat Bayern bei seiner 75%-igen Förderzusage auch nach der Kostensteigerung bleibt,       siehe BZ     muß die Stadt Lindau selbst noch 18 Mio Euro investieren in diese Halle, so daß auf Jahre kein Geld für die Erschließung, geschweige denn die Entwicklung eventuell frei werdender Gleisflächen übrig blieben. Und seien Sie ehrlich: Ein Einkaufszentrum auf der westlichen Insel würde dem gerade noch überlebensfähigen Facheinzelhandel in der Lindauer Altstadt den Garaus machen, die Insel würde völlig zum historischen Disneyland verkommen.

Und selbst wenn Sie auf dem Bahndamm eine Straße bauen würden - den Damm müßten sie stabilisieren. Wo sollten noch mehr Autos hinfahren ? Mit den 100 Bussen täglich, mit denen Sie die heutigen Bahntouristen auf die Insel bringen müßten, wäre diese Straße jedenfalls gut ausgelastet. Sollte die Elektromobilität auf Deutschlands Straßen durch die Akku- Reichweite weiter eingeschränkt bleiben, werden sich insbesondere touristische überregionale Verkehrsströme, etwa zwischen Ulm und Lindau, unter dem Zwang der Ökoeffizienz wieder auf die Schiene verlagern. Wollen Sie den Tourismus als wesentlichen Wirtschaftsfaktor der Lindauer auf Gedeih und Verderb mit dem Straßenverkehr verbinden ?

Nach gründlicher Recherche Ihrerseits bitte ich um eine Gegendarstellung.

Mit nicht mehr freundlichem Gruß
Christian Moritz
Beauftragter für Lindau und das Westallgäu im Pro Bahn Landesverband Bayern e.V.